Blickbewegungen von Dritt- und Viertklässlern mit Entwicklungsdyslexie und/oder Aufmerksamkeitsdefizit beim Satzlesen und Landolt-Scannen

Peters, K. (2015)

Die Entwicklungsdyslexie (ED) als eine der am häufigsten gestellten Diagnosen im Kindesalter geht mit veränderten Blickbewegungsmustern beim Lesen einher. Da es aktuelle Hinweise gibt, dass ein Aufmerksamkeitsdefizit (AD) okulomotorische Fähigkeiten beeinflusst, geht die vorliegende Arbeit der Frage nach, ob ein komorbides AD die Blickbewegungen von Kindern mit ED beim Lesen und sprachfreien Scannen zusätzlich moduliert. Dafür wurden 110 Schüler der dritten und vierten Klasse untersucht (71 Jungen, durchschnittliches Alter 9,7 Jahre), von denen 24 eine ED (Gruppe ED), 32 ein AD (Gruppe AD) und 29 eine Kombination beider Störungbilder (Gruppe KS) aufwiesen; 29 altersgemäß entwickelte Kinder bildeten die Kontrollgruppe (Gruppe KG). Eine Besonderheit der Untersuchung stellte das nichtsprachliche Landolt-Paradigma dar, mit dessen Hilfe leserelevante Blickbewegungen erhoben werden können, die von linguistischen Defiziten nicht beeinflusst werden. Zur Identifikation aufmerksamkeitsassoziierter, okulomotorischer Defizite wurde neben ausgewählten Blickbewegungsparametern beim Satzlesen und Landolt-Scannen der Sakkadendistanzeffekt in beiden Bedingungen erhoben. Die Ergebnisse dieser Studie belegen nicht nur den aus der Literatur bekannten Einfluss einer ED, sondern auch den eines (isolierten) ADs auf die Blickbewegungen beim Satzlesen. Eine ED bewirkte zudem Auffälligkeiten beim Landolt-Scannen, welche durch ein komorbides AD leicht moduliert wurden. In der Satzbedingung war dieser Einfluss eines komorbiden ADs hingegen nicht erkennbar. Der Sakkadendistanzeffekt ließ sich in allen Gruppen und unter beiden Messbedingungen nachweisen. Interessanterweise war er unter beiden Bedingungen bei den Kindern mit komorbidem Störungsbild am schwächsten ausgeprägt. Dies wird als Hinweis auf eine mangelhafte Automatisierung der Blickbewegungssteuerung interpretiert. Insgesamt sprechen die Ergebnisse für qualitative Unterschiede zwischen den untersuchten Gruppen und lassen grundlegende okulomotorische Defizite, welche einer Automatisierung der Blickbewegungssteuerung entgegenstehen, bei den Kindern mit komorbidem Störungsbild vemuten.

Die Bedeutung verbal-sprachlicher Fähigkeiten für die Leseleistung bei Erstklässlern

Velmans, N. (2015)

Die Leseleistungen können nicht mehr isoliert von der Sprachentwicklung be- trachtet werden (vgl. McArthur et al., 2000). Die Bedeutung von verbalen Fähig- keiten für die Leseleistungen ist besonders bei Kindern ab der zweiten Klasse erforscht und bestätigt worden (z.B. Berendes et al., 2011; Muter et al., 2004). In der vorliegenden Studie wurde untersucht, ob bereits bei Kindern der ers- ten Klasse der Wortschatz und das Grammatikverständnis mit den Leseleistungen zusammenhängen und ob diese beiden verbal-sprachlichen Fähigkeiten einen Einfluss auf das Leseverständnis der Kinder haben. Es nahmen 185 Erstklässler/innen (6;10 - 8;0 Jahren) an dieser Querschnittsstudie teil. Auf verbal-sprachlicher Ebene wurden der Wortschatz und das Grammatikverständnis der Kinder erfasst. Im Bereich Lesen wurden die Leseflüssigkeit von Wörtern und Pseudowörtern sowie das Leseverständnis auf Wort- und Satzebene erhoben. Ein Zusammenhang zwischen den verbal-sprachlichen Leistungen und den Lesefähigkeiten kann bestätigt werden. Insbesondere der Wortschatz zeigt ne- ben den Dekodierfähigkeiten einen signifikanten Einfluss auf die Leseverständnisleistungen der Erstklässler. Das Grammatikverständnis trägt nur dann zur Varianzaufklärung des verstehenden Lesens bei, wenn der Wortschatz nicht mit in die Analyse einbezogen wird. Des Weiteren zeigen die Ergebnisse, dass Kinder, die trotz eines guten Leseverständnisses auf Wortebene noch Schwierigkeiten im Dekodieren aufweisen, einen besseren Wortschatz haben als die Kinder, die in den beiden Leseanforderungen gute Ergebnisse erzielen. Aus diesen Ergebnissen kann abgeleitet werden, dass der Wortschatz bereits bei Kindern in der ersten Klasse einen signifikanten Einflussfaktor für die Leseverständnisleistungen darstellt und bei Problemen im Dekodieren das ver- stehende Lesen von Wörtern unterstützen kann.